Eine meiner Lieblingsgeschichtchen beginnt so friedlich und entspannt, wie ein Tag nur beginnen kann, wenn man die Reetdachdecker erwartet, weil der Marder seinen ganz privaten Highway quer durch den First aus Heidekraut gebaut hat, sodass bei jedem Starkregen der Dachboden unter Wasser steht. Mitten im heißesten Hochsommer rückten die Männer an, um den Schaden zu beheben. Wahnsinnig spannend fand ich das und sehr aufregend. Die Reetdecker wirkten dagegen eher fast schon provozierend abgeklärt, routiniert und unaufgeregt - zumindest so lange, bis sie beim Abdecken des Firstes bis zu der Stelle ganz vorne am Giebel kamen, wo wir unser zu Hause schon jahrelang mit einem stattlichen Hornissenvolk teilten.
Donnerwetter nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Mann so schnell ein Reetdach runterrutschen und unten trotzdem unversehrt ankommen kann. Verdammt - die Hornissen hatte ich komplett vergessen, sie gehörten einfach so selbstverständlich zu unserem Garten wie die Schwalben in der Scheune und die Mäuse (nicht nur) im Keller. Sie waren schon vor uns da, vollkommen friedlich uns Säugetieren gegenüber, vertilgten im Sommer Unmengen an Wespen und Raupen und verunsicherten mich nur anfangs, weil sie in der Dunkelheit zum Licht fliegen und ich eine Weile gebraucht hatte um herauszufinden, dass der Hagel der da im Sommer jeden Abend gegen unsere Scheiben prasselte gar keiner war.
Aber jetzt waren sie sauer - so richtig - verständlich, schließlich war es ja auch ihr Dach, das da so plötzlich und unerwartet aufgerissen wurde und natürlich war der Reetdachdecker zu allem Überfluss auch noch allergisch gegen Wespenstiche. Ob das auch für Hornissenstiche galt, war er nicht bereit herauszufinden. Wir einigten uns darauf, dass ich bis zum nächsten Tag eine Lösung gefunden haben würde. Also hängte ich mich unverzüglich ans Telefon und fing an zu recherchieren. Ich sprach mit einer ganzen Reihe netter Menschen bis ich endlich an die richtige Adresse geriet. Der einzige kleine Haken war ein Missverständnis ganz zu Beginn unseres Gespräches. Der nette Herr war so hornissenbegeistert, dass ich eine ganze Weile nicht so recht zu Wort kam und deshalb nicht erklären konnte, dass wir eigentlich gar kein Problem mit den Hornissen hatten - nur eben leider justament in diesem Augenblick einen kleinen - na ja, Interessenkonflikt?
Sobald er verstanden hatte, dass wir die Hornissen eigentlich gar nicht loswerden wollten - ganz im Gegenteil - war er mit den Worten: „Na dann ist das ja alles gar kein Problem, ich komme sofort!“ weg vom Hörer und ca. eine Stunde später stand er vor mir. Ein asketischer, athletischer Herr im Unruhestand unter dem einen Arm eine Leiter unter dem anderen einen - STAUBSAUGER - an den Füßen Holzclogs. „Ja die brauche ich, wenn ich doch gleich vier Stunden auf der Leiter stehe tun mir sonst die Füße weh!“
Zuerst wollte er das Nest von innen begutachten, ich war mir nicht so sicher, ob das möglich sein würde. Unser Haus befindet sich in einem - sagen wir mal - teilweise recht eigenwilligen Ausbauzustand, aber er war ganz zuversichtlich und verschwand vorwärts in den Höhen unseres Dachbodens in den Tiefen der Abseiten, kam rückwärts zurück gerobbt und war restlos begeistert.
„Ich wollte ja am Telefon nicht so vehement widersprechen als Sie mir erzählten, dass dieses Volk schon seit Jahren in Ihrem Giebel wohnt. Eigentlich tun Hornissen so etwas nicht. Es überwintert ja immer nur die Königin und die sucht sich im nächsten Jahr einen neuen Platz für ein neues Nest, aber diesem Nest sieht man genau an, dass es älter ist als ein Jahr. Das jeweils neue Volk hat das alte Nest teilweise zernagt und direkt daran, darin, daneben und daraus neu gebaut - absolut faszinierend - so habe ich das noch nie gesehen - wissen Sie etwas über Wasseradern oder Erdstrahlen auf diesem Grundstück?“
Das musste ich leider verneinen - aber noch mehr interessierte mich ohnehin, wie es denn nun weitergehen sollte mit unserer WG der besonderen Art.
„Also das ist ganz einfach, ich stelle mich jetzt auf meine Leiter und fange mit meinem Staubsauger, bei dem ich den Motor gedrosselt habe, damit die Tiere das auch unverletzt überstehen, alle Hornissen der Tagschicht ein. Das dauert nur ein paar Stunden. Hornissen arbeiten nämlich in zwei Schichten. Ein paar Stunden ist die Tagschicht aktiv und wird dann von der Nachtschicht abgelöst. Wenn ich alle Tiere der Tagschicht abgefangen habe, schließen die Reetdecker flink das Loch im Dach bevor die Nachtschicht sich den Schlaf aus den Augen geputzt hat und morgen früh komme ich zurück, lasse die Tagschicht wieder frei, dann können sie nach Hause fliegen als wäre nichts geschehen!“
Ich hatte ein paar Stunden Zeit mich von meiner Sprachlosigkeit zu erholen - jedes Mal, wenn mir der Verdacht kam, ich könnte diese kuriose Situation nur geträumt haben schaute ich in den Garten - da stand der Staubsaugermann auf ziemlich genau 8 m Höhe und lies einen dicken Brummer nach dem anderen in seinem gedrosselten Gerät verschwinden. „Und was machen Sie jetzt mit denen bis morgen früh - bleiben die da drin?“, fragte ich als er fertig war. „Um Himmels willen - natürlich nicht, die armen Tiere, die bringe ich jetzt in mein Wohnzimmer, da haben sie genug Platz und können sich mit Bananen und Orangensaft stärken - das mögen sie am liebsten!“
Wie besprochen kamen die Reetdecker und ich bin sicher - das war die schnellste Firstreparatur ihrer Karriere - was der Qualität allerdings nicht den geringsten Abbruch getan hat, bis heute ist kein Tropfen Regenwasser mehr auf unserem Dachboden gelandet. Und wie versprochen stand am nächsten Morgen der Hornissenmann wieder in unserem Garten und wir konnten die brummende Familienzusammenführung bestaunen - voller Entrüstung lehnte er meine Idee ab, ihm wenigstens ein Spritgeld zu bezahlen, aber immerhin zu einem schönen Stück Wildschweinbraten aus den Tiefen unserer Kühltruhe konnte ich ihn überreden.
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